“out of the box”-Ansätze
Natürlich fallen einem hier direkt die in den letzten Wochen organisierten Autokonzerte ein. Die Diskussionsrunde hat sich aber entschieden gegen diese Art der Konzerte ausgesprochen, da hier frei nach dem Motto „Zur Not frisst der Teufel fliegen“ gehandelt werden würde. Natürlich bieten Autokonzerte kurzfristige Entertainmenterlebnisse für Konsument*innen, genauso wie Einkommen für Veranstaltende, Künstler*nnen und co.. Trotzdem ist dies gegenteilig zu dem soziokulturellem Wandel der letzten Jahre in Deutschland, der Themen Klimawandel oder Inklusion ins Bewusstsein gebracht hat. In seiner Symbolik scheint diese Art der Konzerte diese Ideale mit Füßen zu treten. Alle geäußerten Erfahrungen stimmten darin überein, dass sie das Live-Konzerterlebnis nicht kompensieren können.
Doch was gibt es für alternative Ansätze, um nachhaltig Live-Konzerte in einer Zeit der Corona-Pandemie zu realisieren? Es gibt beiweitem (noch) keine allgemeingültige Lösung oder ein Patentrezept, aber einige Ansätze, die nachhaltiges Streamen auch nach Krisenzeiten ermöglichen könnten. Post-Corona wird der analoge Ort sicherlich einen extremen Aufwind erleben. Diesen mit Live-Streaming zu verbinden ist ein sehr spannender Ansatz. So könnten an einem besonderen öffentlichen Ort Plakate oder Sticker mit QR-Codes zu einem verstecken Stream führen, der Livekonzerte von Künstlern zeigt, die an genau dieser Stelle ein Live-Konzert gespielt haben. Diese Idee ließe sich auch per augmented reality umsetzen, sodass an diesen Orten im Smartphone bestimmte Hinweise erscheinen. Erweitern ließe es sich auch spielerisch durch Schnitzeljagden oder das „Sammeln von Konzerterlebnissen“ etc.. Ein Beispiel hierfür abseits der Musik könnte MarbleAR sein. Aber auch leerstehende Gebäude könnten kreativ genutzt werden. Beispielsweise könnten in einem Hinterhof mit verschiedenen Gästen an Fenstern, die mit „Schleusen“ an ihre Plätze gebracht werden können, einzigartige Konzerterlebnisse geschaffen werden. Die Voraussetzung dafür ist ein passendes Gesundheitskonzept. Über diese kreativen Einzellösungen hinaus könnten auch allgemeine, gemeinsame und lokale Crowdfundings zu einer dauerhaften Unterstützung von lokaler Kultur ("Fonds für Lokalkultur") führen. Es könnte lokal eine starke Community gebildet werden, die über Abomodelle für eine gesamte Szene dauerhaft Geld von den Zuschauer*innen einsammelt und dieses dann auf die Künstler*innen verteilt. Dies wäre eine soziale, solidarische Form einer gemeinschaftlichen Monetarisierung. Ein weiterer, gemeinschaftlicher Ansatz fordert eine geförderte "Streamingbox" als Infrastruktur. Sie solle als Toolbox einfach zugänglich für jeden und unabhängig großer amerikanischer Firmen, die technischen Voraussetzungen für Livestream-Konzerte bieten und dabei freie Monetarisierungsmöglichkeiten bieten.
Fazit
Livestreaming von Konzerten wird während der Corona-Pandemie weitestgehend als Ersatz für ausgefallene Konzerte genutzt. Kurzfristig gesehen bietet sie zumindest eine anteilige Kompensation für den Ausfalls des Konzerts. Nichtsdestotrotz sind diese Konzerte lediglich die Digitalisierung des eigentlich analogen Events, das als solches viel besser funktioniert. Wer nachhaltig auch über die Corona-Krise hinaus einen monetarisierten Musik-Livestream etablieren möchte, sollte über eine innovative und spannende Monetarisierungsstrategie verfügen, um im Dschungel des kostenlosen Überangebots an Medieninhalten bestehen zu können.
Teilnehmer der Diskussionsrunde:
Robin Werner (kreHtiv Netzwerk)
Gunnar Geßner (MusikZentrum Hannover)
Torsten Wiegel (soziokulturelles Zentrums Steinhaus in Bautzen, Landesverband Soziokultur Sachsen)
Maria Hoffmann (LAG Songkultur Thüringen)
Sina-Mareike Schulte (Musikland Niedersachsen, LAG Jazz Niedersachsen)
Andreas Burckhardt (Tonhalle Hannover)
Tobias Lüttig (Lion Roar Sound Studios, kreHtiv Netzwerk)
Arne Pünter (Jazz Musiker Initiative Hannover)
Im Vorgespräch:
Claudia Schwarz (Music Tech Germany)
**Zusatz** Mittagstisch der Hannoverschen Livestreaming-Akteure
Im Nachgang des Brainstorming-Events und der Veröffentlichung dieses Blogartikels haben wir als kreHtiv-Netzwerk einen Mittagstisch zu genau diesem Thema, also Monetarisierung von Livestreams, in Kooperation mit Digital SoundsDigital, ein Projekt der Hörregion Hannover, UNESCO City of Music Hannover und hannoverimpuls, durchgeführt. Dafür hatten wir Gerry Davison von Scoopas zu Gast. Er stellte uns seine Livestreaming-Plattform Scoopas vor, die in kürze online gehen wird. Gemeinsam mit unterschiedlichen Livestream-Veranstaltern aus Hannover (Local Players, Coroncerts, Live2Home) und Bautzen (Steinhaus Bautzen) diskutierten wir darüber, was eine gemeinsame Plattform bieten müsste, damit sich die lokalen Livestream-Anbieter auf einen gemeinsamen, lokalen Plattform-Anbieter einigen können. Das konnte spannende Möglichkeiten und Alternativen zu den gängigen amerikanischen Anbietern von YouTube über Facebook und Twitch bis hin zu Periscope aufzeigen. Eine solche Plattform könnte funktionieren, wenn alle unterschiedlichen Streamingformate (vom Handylivestream über Bildschirmübertragungen bis hin zu professionellen Produktionen) sowie das Bezahlsystem (bei Scoopas beispielsweise auf Basis von Blockchain-Technologie) frei und einfach zugängig sind. Eine große Sorge der lokalen Betreiber stellt nach wie vor der Bereich der Rechteverwertung dar. Eine große Möglichkeit bestünde für eine Plattform also darin, auch diesen Prozess für Veranstaltende zu vereinfachen. Problematisch ist natürlich der Fakt, dass es in einem Überangebot an digitalen Plattformen eine weitere ist, auf die das Publikum gezogen werden muss und an welche sie sich erst einmal gewöhnen muss. Generell ist aber zu erkennen, dass auch alle lokalen Betreiber der Livestreams vor der selben Herausforderung der immer weiter sinkenden Spendeneinnahmen der Livestreams stehen, während sie gleichzeitig einen sehr hohen Aufwand in der Produktion bedeuten.
Als Kurzimpuls und kleine Diskussion hoffen wir, damit einen Anstoß zu möglicher Zusammenarbeit geliefert zu haben, denn alle Events und Diskussionen, die wir zu diesem Thema seit Beginn der Corona-Krise durchgeführt haben, haben eines gezeigt: Wir alle stehen vor den selben Herausforderungen und Problemen. Daher möchten wir dafür appelieren, sich zusammen zu tun und gemeinsam an innovativen Lösungen und neuen Formen des Livestreamings in Zeiten von und nach Corona zu arbeiten.